„Kann Ihr Welpe denn auch schon alles, was mein Kleiner kann?“, diese Frage stellte mir ein Kunde gestern nach unserem ersten gemeinsamen Training. „Oder ist es in der Praxis doch nicht so einfach wie in der Theorie?“ setzte er nach, als er meinen ob seiner Frage irritierten Blick sah. Sofort zwickte mein Hunde-Mutter-Herz und war in Alarmbereitschaft. Mein erster Gedanke: Möchte da jemand meinen Welpen kritisieren? Mein zweiter Gedanke: dieser Dialog kommt in die Kolumne. Leider konnte ich ihm als Antwort noch nicht mit dieser Kolumne entgegnen. Deshalb bemühte ich mich um eine neutrale Antwort, die in etwa so lautete: „Auch mein Welpe ist ein ganz normaler junger Hund. Zuckersüß und manchmal auch rotzfrech.“ Der Kunde war längst vom Gelände gefahren, doch seine Bemerkung hing mir immer noch nach, sie ging mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Was sollte diese Bemerkung? Es war der erste Termin mit diesem Kunden. Bei einem Hund hätte meine Diagnose gelautet: „territorial motiviertes Imponiergehabe“. Während ich immer noch überlegte, ob ich jetzt dünnhäutig geworden bin, wurde mir immer klarer, was mich an dieser Frage so irritiert hat. „Kann ihr Kleiner auch schon alles, was mein Kleiner kann?“ – in diesem Satz steckt so viel Leistungsdruck. In diesem Moment musste ich an eine Freundin denken. Sie erntet mitleidige Blicke der anderen hoch motivierten Mütter in der Kita, da ihr fünfjähriger Sohn noch nicht beidhändig Klavier spielen kann, dafür aber jeden Samstag beim Fußballtraining glücklich über einen matschigen Acker rennt.
Ist dieser höher, schneller, weiter und „Wer ist als erstes trocken-Wahnsinn“ jetzt auch schon bei den Hunden angekommen? Ich hatte das Gefühl, dass der Mann meinen Hund gerne vorgeführt haben möchte. Nach dem Motto: nun zeig mal, ob dein Hund „perfekt“ ist. Und genau da sind wir beim Knackpunkt: mein Anspruch an das Zusammenleben mit einem Hund ist nicht das Prädikat „perfekt“. Ich möchte, dass die Bedürfnisse von Mensch und Hund berücksichtigt werden. Ein zufriedenes und glückliches Zusammenleben von Mensch und Hund hat nichts mit „perfektem Gehorsam“ zu tun.
Hast du auch gerade einen Welpen? Vielleicht kennst du dann ja Fragen wie „ist er denn noch nicht stubenrein?“. Lass dich nicht unter Druck setzen. Gerade im Welpentraining benötigt man Geduld – es ist immer individuell.
Wer einem Hund ein Zuhause gibt übernimmt eine enorme Verantwortung, egal wie alt der Hund ist. Mit dem Einzug eines Welpen kommt die große Aufgabe der Prägung und der Sozialisierung hinzu. Alles was dieses junge Lebewesen erlebt und entdeckt, erlebt er mit seinem Besitzer – mit dir. Während ich diese Kolumne hier schreibe schnarcht mein Welpe unter meinem Schreibtisch.
Wenn auch bei dir gerade ein Welpe eingezogen ist, lass dich nicht von Stimmen wie „kann dein Hund schon … ?“ unter Druck setzen. Zeig deinem Welpen die Welt, bereite ihn auf seinen Alltag vor. Gehört zu eurem Leben, dass ihr viel Auto fahrt? Dann übe jetzt genau das. Oder darf dein Hund dich mit ins Büro begleiten? Dann zeige ihm, dass ruhig abwarten auch toll sein kann. Die Anforderungen an einen Hund sind je nach Lebensumständen der Menschen unterschiedlich. Ein seriöses Hundetraining nimmt immer Rücksicht darauf.
Ich finde, gerade in den ersten Wochen nach dem Einzug sind gemeinsame schöne Erlebnisse mit dem Welpen viel wichtiger, als Vokabeln wie „Platz“ oder „Gib Pfötchen“ zu üben. Ist ein Welpe einzogen ersetzt der Mensch Mutter, Vater, Geschwister und Züchterin in einer Person. Und genau darin liegt der Balanceakt. Auf der einen Seite Bindung zu schaffen und auf der anderen Seite klare Strukturen und Regeln aufzubauen und einzuhalten. Ich finde es nicht spielentscheidend, ob der junge Hund mit zwei Wochen schon Pfötchen geben kann, Sitz und Platz auf Distanz kann.
Viel wichtiger finde ich, dem Hund seinen späteren Alltag zu zeigen. Das bedeutet ihn mit Geräuschen, Gegenständen, Tieren und Personen bekannt zu machen, die ihm in seinem späteren Leben begegnen werden. Zeig deinem Welpen, dass die Welt mit dir spannend ist und entdecke alles mit ihm gemeinsam. Sei bei Ausflügen in die Natur ruhig kreativ und verstecke beispielsweise Snacks in Bäumen oder im Gras. Dein kleines Hundebaby wird begeistert von deiner Kreativität sein. Bindung schafft Vertrauen und damit gehen Kommandos wie Zurückkommen oder Sitz und Bleib fast wie von allein.
Ich wünsche dir ganz viel Spaß beim gemeinsamen Entdecken!
Jana Rätke
Hundetrainerin & Journalistin
Sie hat ihre beiden Leidenschaften zum Beruf gemacht. Sie ist ausgebildete Redakteurin und zertifizierte Hundetrainerin mit Schwerpunkt Verhaltenstherapie. In der täglichen Arbeit mit Mensch und Hund ist es ihr besonderes Anliegen, dass Menschen die Körpersprache ihrer Hunde verstehen. Den Grundstock von unerwünschten Verhaltensweisen legen oft Missverständnisse in der Kommunikation zwischen Mensch und Hund. Mehr von Jana Rätke erfährst Du unter: www.der-lieblingshund.de