Damit hatte er nicht gerechnet. Als Colin Campbell von einer Geschäftsreise in seine Heimat Toronto zurückkehrte, erwartete ihn ein halb leergeräumtes Haus. „Bis zu diesem Tag war ich glücklich mit einer liebevollen Frau verheiratet. Dann packte sie ohne Vorwarnung ihre Sachen und verschwand aus meinem Leben. Sie lehnte eine Eheberatung sowie alle Versuche der Annäherung ab. Mein Herz war gebrochen, ich war am Boden zerstört und fiel in eine tiefe Depression.“ Der ursprünglich so erfolgreiche Marketing-Profi suchte sich therapeutische Hilfe, doch die Fortschritte waren klein und die leeren Pizzakartons stapelten sich auf dem Fußboden des einsamen und viel zu großen Hauses. „Meine Freunde machten sich Sorgen und ermutigten mich, mir einen Hund zuzulegen, um ein wenig Gesellschaft zu haben“, erinnert sich der Kanadier. Über die Neufundländer-Rettungsorganisation „Newf Friends“ erfuhr Colin Campbell vom Schicksal des obdachlosen Rüden George. „Ich wusste, dass er von seinem vorigen Besitzer vernachlässigt worden war. Er hatte ja noch nicht einmal einen Namen. Bis zu unserem ersten Treffen hatte ich nur Bilder von George gesehen und fand ihn natürlich toll. Doch als ich ihn zum ersten Mal live gesehen habe, war ich beeindruckt von seiner Größe und Schönheit. Es war, als würde man eine Berühmtheit treffen.“
Der Beginn einer wundervollen Freundschaft
„Ich hatte mich für George entschieden, da er – genau wie ich – verlassen wurde. So konnte ich ihm helfen und war im Gegenzug nicht mehr so einsam. Da wusste ich noch nicht, wie viel mehr mir diese Freundschaft in Zukunft geben würde.“ Am Anfang näherten sich der 63 Kilogramm schwere Landseer-Neufundländer und sein neues Herrchen vorsichtig an. George wurde in seinem früheren Leben misshandelt, war entsprechend misstrauisch und fürchtete sich vor Männern. „Ich war mir zu dem Zeitpunkt absolut nicht sicher, ob ich die richtige Entscheidung getroffen hatte und ob ich in der Lage war, George zu helfen und ihm ein sicheres Zuhause zu geben“, sagt Colin Campbell. „Ich war unsicher ob er mich mögen würde, weil er von seinem Vorbesitzer so schlecht behandelt worden war. Zum Glück alles unnötige Sorgen. George aufzunehmen war die beste Entscheidung meines Lebens.“ Zu Beginn begegneten sich Mensch und Hund mit höflichem Sicherheitsabstand, doch aus der behutsam wachsenden Beziehung wurde mit der Zeit eine echte Freundschaft. Colin Campbell hatte jemanden, der ihn aus seinem Loch zog und George erhielt die Chance, wieder zu vertrauen. „Rückblickend haben wir uns gegenseitig gerettet. Es war uns zu Beginn nur noch nicht klar!“
„Er hat mir gezeigt, wie man die Wellen des Lebens reitet, anstatt sich von ihnen überspülen und ertränken zu lassen.“
Ein berufsbedingter Umzug von Kanada nach Kalifornien markierte den Start in einen neuen Lebensabschnitt der ungewöhnlichen Freunde. Der leidenschaftliche Schwimmer und sein wasserbegeisterter Hund entdeckten ihr gemeinsames Hobby: das Surfen! Trotz seiner beeindruckenden Statur zeigte sich George als Naturtalent auf dem Brett. „Als er völlig spontan auf mein Surfboard sprang, wollte er gar nicht mehr absteigen, selbst als die riesigen Wellen des Pazifiks auf ihn zurollten“, erinnert sich Colin Campbell. „Keiner hat ihm das Surfen beigebracht, George war ganz einfach dazu bestimmt. Seine Rasse prädestinierte ihn für den Wassersport. Neufundländer wurden früher eingesetzt, um Fischer in Not zu retten und werden bis heute entsprechend ausgebildet. George hatte gigantische Pfoten mit Schwimmhäuten und er liebte das Meer genauso sehr wie ich. Ich bin an den Stränden Ostkanadas aufgewachsen. Das Surfen gehört für mich schon immer zum Leben dazu. Trotzdem war es sehr ungewöhnlich, dass so ein riesiger Hund Lust dazu hatte auf ein Surfbrett zu steigen – und dass es dann auch noch so gut klappte!“
Surfen als gemeinsame Leidenschaft
Der sanftmütige Neufundländer wurde zu einem passionierten Wellenreiter und war entlang der sonnigen Strände Kaliforniens bekannt wie ein bunter Hund. George nahm an den „California Dog Surfing Championships” teil und gewann den „People’s Choice Award” als beliebtester Surfhund. Wichtiger als die öffentliche Anerkennung waren für Colin Campbell jedoch die unbeschwerten Momente, die er mit seinem Hund am Meer genoss. Diese Auszeiten erinnerten den erwachsenen Mann an etwas, das er schon fast vergessen hatte: Die langen Sommerferien, die er als Junge bei seinem Großvater verbracht hatte, und die für ihn den Begriff „freie Tage“ prägten. „Ein „freier Tag“ ist ein ganz besonderer und seltener Tag, den man mit Menschen verbringt, die man liebt und an dem man zusammen Dinge tut, die einen glücklich machen. An so einem Tag wird man nicht älter. Gemeinsam mit George ist es mir gelungen, diese wertvollen Augenblicke wieder zu erleben. Wir alle brauchen solche „freien Tage“ in unserem Leben. Sie bedeuten für jeden etwas Unterschiedliches, man muss nur in der Lage sein, sie zu erkennen.“
„Mein Leben hat sich unglaublich verändert. Mit George als Vorbild bin ich zu einem besseren, glücklicheren Menschen geworden.“
Gerade als er seinen geliebten Vierbeiner an den Krebs verlor, wurde Colin Campbell das Geschenk gemeinsamer Zeit erneut bewusst. Die Erinnerung an seinen treuen Begleiter, mit dem er auf einer Welle aus der Krise surfte, lebt weiter. „Ich habe eine Menge von meinem Hund gelernt“, gibt er zu. „George lebte immer im Moment und war aufrichtig glücklich mit den kleinen Dingen, die er jeden Tag erlebte. Er war sehr geduldig und sein Umgang mit anderen war ehrlich und offen. Ich habe gelernt, auf ähnliche Weise mit den Menschen umzugehen. Außerdem bin ich heute selbstkritischer, ich reflektiere mehr. Mein Hund hat mir beigebracht, Veränderungen anzunehmen. Er hat mir gezeigt, dass man zu weit aufs Meer hinausschwimmen kann – und er hat mich öfter, als ich mich erinnern kann, zurück ans rettende Ufer gezogen. Er hat mich gelehrt, dass der Surfsport, genau wie das Leben, nicht zu ernst genommen werden sollte … .“
Weitere Informationen
Sine persönliche Geschichte hat Colin Campbell unter dem Titel „Ein Pfundskerl namens George – Wie ein surfender Hund mein bester Freund und Retter wurde“ über Eden Books veröffentlicht. Das Buch schaffte es in Deutschland auf die Spiegel-Bestsellerliste und soll in Amerika verfilmt werden. Der wellenreitende Neufundländer hat bis heute Tausende Follower auf Facebook.